Wenn das digitale Ökosystem regionaler Prägung den Erfolg und die Zukunft der Genossenschaftsbanken sichern soll, muss es seinen Fokus auf die Mitglieder richten und nicht auf den eigenen Gewinn.
Biologische Ökosysteme wachsen nur dann, wenn es nicht nur ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen gibt, sondern wenn alle Systemmitglieder dauerhaft mehr in das System reingeben, als sie für sich selbst herausziehen. Dies gilt, nicht nur im übertragenen Sinne, auch für soziale Systeme. Doch viele Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich bei dem digitalen Ökosystem der VR-Banken nicht um ein intaktes und wachstumsfähiges System handelt, da es unterm Strich nur einen großen Gewinner gibt – die Bank! …
Den gesamten Beitrag finden Sie als Video unter: https://youtu.be/-WVoyMDWRsg oder als Transkript unten auf dieser Seite.
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Ihr
Christian Eichhorn
Transkript
In unserem letzten Video ging es um §1 GenG und den Aufbau eines genossenschaftlichen Ökosystems. Heute werde ich auf Reaktionen zu diesem Video eingehen und mich auf die E-Mail eines befreundeten Volksbankvorstandes beziehen. Dieser schreibt:
„Zum Aufbau eines Ökosystems habe ich bereits stunden- und tagelange Diskussionen hinter mir – und vermutlich auch noch in Aussicht. Manches scheint dort auf dem Papier recht einfach und hat doch umfangreiche Implikationen. Mal ganz abgesehen von den finanziellen Ressourcen die man braucht. Immerhin legen wir uns gewissermaßen mit den größten BigTechs dieser Welt an.“
Er erklärt zwar nicht, wen er mit diesem BigTechs meint, aber wahrscheinlich denkt er an so dicke Fische wie Google, Amazon & Co., mit in deren Teich die Genossenschaftsbanken mitschwimmen wollen. Doch zwischen diesen Brocken kommt mir das digitale Ökosystem der Genossenschaftsbanken wie ein kleiner putziger orange-blauer Guppy vor, der im besten Fall unbeachtet bleibt oder bei all den Fressfeinden nicht überleben wird. Aber wenn wir die Aussage mal ernsthaft analysieren, was sagt es über das digitale Konzept der VR-Banken aus, wenn es in Wettbewerb mit den BigTechs treten will?
Es sagt, dass es nicht um die Stärkung von Wirtschaft und Ertrag der Mitglieder geht, sondern um die Stärkung der Bank!
Doch wenn dieses digitale Ökosystem regionaler Prägung den Erfolg und die Zukunft der Genossenschaftsbanken sichern soll, muss es seinen Fokus auf die Mitglieder richten und nicht auf den eigenen Gewinn wie die sogenannten Big-Techs.
Der orange-blaue Guppy braucht ein eigenes Gewässer, das nicht nur optimale Bedingungen schafft, sondern Wachstum und Entwicklung des gesamten Ökosystems fördert. Und hier gleich mal die gute Nachricht: das hat jede Genossenschaftsbank bereits im Haus – ihren Mitgliederpool. Genau darin liegt die Chance dieses Ökosystems: Nämlich so viel wie möglich über Bedarfe und Umfeld der Mitglieder zu erfahren, damit diese passgenau gefördert werden können. Und dabei definiert sich fördern eben nicht im Sinne von Verkaufsförderung, sondern Förderung im Sinne des §1 GenG.
Mir ist die Tage zu diesem Thema ein Beitrag im Banking Blog vom November 2020 in die Hände gefallen. Er titelt: Genossenschaftsbanken auf dem Weg ins digitale Ökosystem. Die Autorin schreibt u.a. darin: „All das zusammen ermöglicht die Verwirklichung einer Qualität, ohne die sich kein Ökosystem etablieren kann: Der Kunde rückt mit seinen Ansprüchen in den Mittelpunkt der Ausrichtung des Ökosystems. Leistungsversprechen und Leistungsangebote werden in täglich erlebbaren Nutzen umgewandelt und im täglichen Bedarf verankert. Ausgehend von den Bedürfnissen ihrer Kunden sind die Genossenschaftsbanken mehr denn je relevant im Alltag ihrer Kunden als Wunscherfüller und Lösungsanbieter.“
Leider hat die Autorin überhaupt nicht verstanden, was ein Ökosystem ausmacht. Und interessanterweise taucht im gesamten Artikel das Wort „Mitglied“ nicht einmal auf. Wenn wir uns natürliche Ökosysteme anschauen, dann steht erstens kein Lebewesen im Mittelpunkt, und zweitens ist es nicht Zweck dieses Systems Lösungen zu bieten oder Wünsche zu erfüllen. Das System selbst ist die Lösung! Und biologische Ökosysteme wachsen auch nur dann, wenn es nicht nur ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen gibt, sondern wenn dessen Mitglieder dauerhaft mehr in das System reingeben, als sie für sich selbst herausziehen.Die Frage muss deshalb lauten: wie können wir ein digitales Ökosystem schaffen, aus dem die Mitglieder gemäß dem genossenschaftlichen Grundprinzip der Selbsthilfe durch gemeinschaftliches Wirken Nutzen ziehen und das dazu beiträgt, dass alle Beteiligten des Systems im gleichen Maße profitieren. In Bezug auf das digitale Ökosystem scheint es sich bei diesem eben nicht um ein intaktes und wachstumsfähiges System zu handeln. Denn unterm Strich gibt es nur einen großen Gewinner – die Bank und eben nicht die Mitglieder. Und wenn mir das als künftiges oder auch bestehendes Mitglied bewusst wird, dass es hierbei wieder nicht um mich, sondern nur um meine Geld geht, werde ich mir doch zweimal überlegen, ob ich Teil dieses System sein möchte. Leider haben viele Genossenschaftsbanken vergessen – oder es nie gelernt, dass man in einem erfolgreichen Ökosystem mit seinen Mitgliedern lebt und nicht von ihnen.
Wie sehr das Selbstbild mancher Genossenschaftsvorstände von der Realität abweicht, zeigt auch die Aussage eines Vorstandes, die mir von einem befreundeten Bänker übermittelt wurde. Dessen Vorstand sagte: „Und wenn wir irgendwann keine Bank mehr sind, so bleiben wir doch eine Genossenschaft“ Als ich das hörte, dachte ich im ersten Moment: Was für ein schöner Satz! Aber diese Eindruck machte schnell einem: „Echt jetzt?“ Platz. Denn was bleibt denn bitte von den meisten Genossenschaftsbanken heutiger Art noch übrig, wenn sie keine Bank mehr sind? Lassen Sie uns dazu einen einfachen Test machen: Nachdem Sie dieses Video zu Ende gesehen haben (bzw. diesen Text gelesen haben), gehen sie auf die Webseite einer beliebigen VR-Bank und dort auf die Seite mit den Mitgliedervorteilen. Nun stellen Sie sich vor, es gäbe lediglich noch die dort aufgelisteten Mitgliedervorteile und ansonsten keinerlei Bank- und Finanzdienstleistungen. Jetzt mal „Hand aufs Herz“: Wie motiviert wären Sie noch, bei dieser Bank Mitglied zu werden? Und wenn sie es weiter bleiben, dann sicher aus anderen Gründen. Ich freue mich auf Ihre Kommentare! Und über jede Bank, deren echter Mitgliedernutzen meine These widerlegt.
Schauen wir uns an dieser Stelle doch einmal die aus meiner Sicht interessanteste Zielgruppe für den Aufbau eines regionalem Ökosystems an: Die KMU, also kleinen und mittleren Unternehmen. Sie stellen über 99% aller Unternehmen in Deutschland, tragen aber nur zu etwa 32% zum Gesamtumsatz aller Unternehmen bei. Außerdem sind sie systembedingt schlecht vernetzt und digitalisiert. Und genau hier kann das digitale Ökosystem regionaler Prägung zu einem wirksamen Werkzeug werden, um den Mittelstand zu vernetzen und durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb den Ertrag und die Wirtschaft aller Systembeteiligten zu fördern. Herbert Dörr, ein Kollege und Freund, sagte mir einmal: „Die Genossenschaftsbank sollte die ausgegliederte Finanzabteilung eines Mittelständer sein“ Dass diese Denke bei einigen Häusern zumindest temporär angekommen ist, zeigen die Beispiele der Volksbanken Ludwigsburg, der VR-Bank Asperg-Markgröningen und ihrer Partnerbanken. Diese haben in Lockdown-Zeiten kurzerhand ein Portal für Liefer- und Abholservices ins Leben gerufen. Oder die VB Bühl, die Ihren Landwirtschaftlichen Kunden Erntehelfer stellte. Das sind Ansätze für ein Ökosystem regionaler Prägung – ob digital oder nicht. Aber um überhaupt auf solche Ideen zu kommen, muss ich als Bank meine Mitglieder und Kunden sehr gut kennen und wissen, was sie beschäftigt. Dafür reicht ein einzelner Mitgliederbetreuer nicht aus. Dafür braucht die Bank alle Mitarbeiter! Als Geschäftsleitung muss es deshalb mein Ziel sein, dass jeder Mitarbeiter, beseelt von der genossenschaftlichen Idee, Augen und Ohren offenhält, um zu verstehen, was die Menschen in der Region und im Speziellen die Mitglieder beschäftigt und mit welchen Lösungen wir helfen können. Ein Beispiel praktizierter Kundennähe ist die VB Welzheim in Baden-Württemberg. Dort haben wir vor ein paar Jahren im Zuge der Reorganisation der Marketingabteilung, diese mit dem Kundenservice-Center verschmolzen. Dadurch erhält das Marketing nun unmittelbare Impulse aus den Kundenkontakten. Und umgekehrt kann das KSC Kunden unmittelbar zu aktiven und geplante Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen befragen. Diese Erkenntnisse fließen dann ins Marketing, das Vertriebsmanagement und in die Gesamt-Strategie ein.
Jede Bank braucht aber nicht nur Konzepte und Prozesse, um Kunden und Mitglieder besser zu verstehen. Die genossenschaftliche Idee muss sich auch in den Führungsprinzipien widerspiegeln. So ist das Ziel genossenschaftlicher Beratung nicht Gewinnmaximierung durch Cross-Selling, sondern mitgliederorientierte Beratung. Und Vertriebsziele sollten nicht mehr Vertriebsziele sondern Förderziele heißen, die sich konsequenterweise nicht an Umsatzzahlen orientiert.
Sie schütteln den Kopf und halten mich für einen Idealisten. Glauben Sie mir, es gibt Banken, die das praktizieren damit sehr erfolgreich sind. Ganz zu schweigen von Studien, die den Erfolg dieser Ansätze belegen.
Aber zum Schluss nochmal zurück zu den KMU. Berlin fordert, dass bis 2030 sechs Millionen Wärmepumpen installiert werden sollen. Abgesehen davon, dass dies mehr als 2.000 Pumpen pro Tage wären, fehlen den Sanitärbetrieben laut Helmut Bramann, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima, jedoch 26.000 kaufmännische Mitarbeiter für die Abwicklung der Aufträge.
Administration und Auftragsabwicklung sind jedoch Kompetenzen, die bei Banken zu haufe vorhanden sind. Also, wie war das noch mal mit der ausgelagerten Finanzabteilung …