Die Bedeutung der Unternehmenskultur für den Erfolg von Fusionen ist unbestritten. Doch den Einsatz im Verschmelzungssprozess verpasst die Kultur leider oftmals. Dabei ist der richtige Zeitpunkt einer Kulturanalyse erfolgskritisch.
Erinnern Sie sich noch an die Anfänge Ihrer letzten Liebesbeziehung? Vielleicht ist daraus ja inzwischen sogar eine Ehe geworden, mit gemeinsamem Hausstand, Kindern und Hund. Erinnern Sie sich noch, woran Sie als erstes gedacht hatten, als Sie anfingen mit diesem Menschen dauerhaft unter einem Dach leben zu wollen? Wahrscheinlich überlegten Sie als Erstes ganz rational, ob Ihre Möbel gut zusammenpassen würden, oder ob sich Ihr iPhone mit ihrem oder seinem Android problemlos verbinden ließe. So oder so ähnlich laufen auch die meisten Fusionen ab, wenn man davon absieht, dass es sich dabei um Partner mit vielen großen Kindern handelt. Auch Fusionen sind immer Vernunftentscheidungen, oder sollten es zumindest sein.
Doch wie so oft im Leben, wird auch dieses Ideal von der Realität durchkreuzt. Eine Fusion ist natürlich ebenso wenig eine rein rationale Entscheidung wie eine Liebesbeziehung. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden liegt jedoch in der Intension. Während wir private Beziehungen (heute) aus vorrangig emotionalen Gründen anstreben und dabei hoffen, dass sich gemeinsame Ziele und die tägliche Organisation auf dem soliden Fundament der Liebe schon finden werden, ist es bei Fusionen genau umgekehrt. Deren Eltern, um bei unserem Bild zu bleiben, erwarten, dass sich bei den Kindern Zuneigung und Akzeptanz auf Basis der rationalen Erwägungen im Laufe der Zeit schon ergeben werden. Doch wenn nicht? Und was bedeutet „im Laufe der Zeit“?
Wir wissen, dass wir sollten – eigentlich
Reibungsverluste, die sich aus der Verbindung unterschiedlicher Kulturen ergeben, sind unausweichlich. Diese Erkenntnis ist inzwischen auch bei den meisten Führungskräften angekommen. „Wir wissen, dass wir in Sachen Kultur und Change etwas machen müssen“, sagte mir kürzlich der Vorstand einer fusionierenden Genossenschaftsbank. „Aber“, fuhr er fort, „zuerst müssen wir uns auf Vorstandsebene einigen“. Recht hat er, doch bringen auch die Vorstandsmitglieder „ihre Päckchen“ mit. Päckchen, in denen die Führungsidealen gleich neben den Unternehmensziele liegen, eng umschlungen von den persönlichen Werten und Erfahrungen. Der Inhalt dieser Päckchen jedoch bleibt meist im Dunkeln und ist nicht selten den Eigentümern selbst verschlossen. Und da Führungskräfte immer auch Kulturschaffende sind, haben diese Päckchen in den vergangen Jahren oder gar Jahrzehnten mehr oder weniger unbewusst die Geschicke und Entscheidungen der jeweiligen Unternehmen gelenkt. Dies hat zu einer einzigartigen Unternehmenskultur und Unternehmenspersönlichkeit geführt, mit all ihren Stärken, aber auch Dysfunktionen.
Während in einer Liebesbeziehung eben diese Liebe viele Kulturelemente des Partners akzeptieren hilft, fehlt dieser Aspekt bei der Fusion zweier Unternehmen gänzlich.
Die richtige Temperatur ist entscheidend
Deshalb gehört die Auseinandersetzung mit den kulturprägenden Vorstellungen und Einstellungen in die früheste Phase eines Fusionsprozesses. Eine fundierte Kulturanalyse schafft Transparenz über Gemeinsamkeiten und Unterschiede und zeigt Diskussions- und Handlungsfelder auf. Ideal ist hierbei ein Vorgehen in mehreren Schritten:
- Erhebung der Soll-Kultur-Vorstellungen auf Ebene des Managements
- Entwicklung einer gemeinsamen Soll-Kultur und Ableitung von Mission, Vision und Leitbild
- Anpassung des Fusionsprozesses und Initiierung des Veränderungsmanagements
- Erhebung von Ist-Kultur auf Ebene der Führungskräfte und Mitarbeiter in den fusionierenden Unternehmen
- Ermittlung des Gap zwischen Soll- und Ist-Kultur und Definition von Handlungsfeldern auf strategischen, organisatorischen und persönlichen Ebenen
Die Verschmelzung unterschiedlicher Kulturen zu einer gemeinsamen neuen Unternehmenskultur ist eine heiße Sache. Ist die Schmelztemperatur dabei zu gering, bleiben die zähen Kerne aus den alten Organisationen erhalten. Ist sie zu hoch, verbrennen wir wertvolle Ressourcen. Die Entwicklung der Soll-Kultur zu Beginn einer Fusion hilft dabei, die richtige Schmelztemperatur für den Fusionsprozess zu finden. Damit sich alle wertvollen Bestandteile zu einer individuellen und harmonischen Melange zusammenfinden und nicht zu eine Einheitsbrei.
Die Päckchen öffnen
Der erste Schritt zur Entwicklung der Soll-Kultur ist einfach und sehr effektiv. Einfach, weil wir in einem nur eintägigen Management-Workshop mittels einer strukturierten Online-Befragung die Vorstellungen jedes Teilnehmers zur Soll-Kultur des zukünftigen Unternehmens erheben und wissenschaftlich fundiert auswerten können. Effektiv, weil im Rahmen des Workshops die einzelnen kulturelle Aspekte differenziert bearbeitet und oftmals schon einem gemeinsamen Verständnis zugeführt werden können. Im besten Fall haben sich die Teilnehmer am Ende des Tages auf die grundlegenden Merkmale ihrer Zielkultur geeinigt und die weiteren Schritte dazu in den bestehenden Fusionsprozess integriert.
In privaten Beziehungen bauen wir darauf, dass uns Liebe und Verbundenheit in guten wie in schlechten Zeiten tragen. Im beruflichen Kontext fällt es vielen Führungskräfte jedoch schwer zu akzeptieren, dass unsere tägliche Arbeit mit allen ihren Entscheidungen durchdrungen ist von persönlichen Werten, Erfahrungen und Empfindungen – tausenden wissenschaftlichen Studien zum Trotz. Die Kulturanalyse im Rahmen einer Fusionen macht die kulturellen Ausprägungen und deren Ursachen wertfrei transparent und ermöglicht einen ungehinderten Blick auf die zu bearbeitenden Handlungsfelder. Mit dem Ziel, eine konstruktive Unternehmenskultur zu entwickeln, die in der Lage ist, zukünftige Veränderungen zu antizipieren und nachhaltige Werte zu schaffen.