Kürzlich habe ich in Stuttgart an der Transformationskonferenz des Bildungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft teilgenommen. Dabei ging es um Elektromobilität und neue Geschäftsmodelle von Automobilindustrie und mittelständisch geprägten Automobilzulieferern.
Als Hauptredner präsentierte Bundesaußenminister a.D. Joschka Fischer seine Sicht auf die geopolitischen Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft im Allgemeinen und die deutsche Industrie im Besonderen.
Dabei setzte er die Herausforderungen der hiesigen Automobilindustrie in den Kontext mit den aktuellen geopolitischen Verschiebungen. In seiner überzeugenden Art hielt Joschka Fischer den ca. 200 Teilnehmern aus Industrie, Politik und den Wirtschaftsverbänden den Spiegel vor und forderte zu mehr Mut zur Veränderung und zum Experimentieren auf.
Die neue protektionistische Politik der gegenwärtigen US-Regierung führt aus seiner Sicht dazu, dass sich Deutschland und Europa auf Basis eigener Stärken kurzfristig, nachhaltiger als Lösungsanbieter positionieren müssen. „Die frühere Schutzmacht USA und die industriepolitische Partnerschaft mit Europa ist Vergangenheit und sie wird auch durch eine möglicherweise künftig neue Regierung in den USA nicht mehr weitergeführt werden“, so Fischer. China dagegen wird seine technologische Aufholjagd in den wichtigsten Industriesegmenten mit zunehmendem Erfolg weiter vorantreiben. Diese Entwicklung wird sich durch die momentanen Wirtschaftskonflikte mit den USA weiter beschleunigen. Die große Stärke und das Fundament des wirtschaftlichen Aufschwungs ist der immens große chinesische Binnenmarkt.
Joschka Fischers Appell
In seinem Fazit forderte Joschka Fischer in einem leidenschaftlichen Appell alle Teilnehmer dazu auf, die Chance der Digitalisierung und „Elektrifizierung“ automobiler Antriebstechniken durch neue Geschäftsmodelle zu nutzen, um die Stärken der deutschen Wirtschaft im Bereich der Nachhaltigkeit auszubauen. Nur die bewusste Veränderung und der Mut dazu neue Wege zu gehen wird dazu führen, dass wir als wirtschaftspolitisch mächtige Nation in Kooperation mit den europäischen Partnerländern im Weltmarkt wahrgenommen werden und unsere Exportfähigkeit auch im Bereich E-Mobility weiter behalten und ausbauen.
Fast alle Vorträge und Präsentationen während der Veranstaltung haben deutlich gemacht, dass der momentane Trend in Richtung Elektromobilität und alternativer Antriebskonzepte alternativlos ist, auch wenn der ein oder andere Referent postulierte, dass der Dieselmotor zu Unrecht als das Kernproblem des Klimawandels verteufelt wird. Den Dieselmotor als Antrieb im Automobil werde es auch in 50 Jahren noch geben.
Während die großen Automotive OEM’s ebenso wie die international agierenden Zulieferer in der Unternehmensentwicklung und Forschung den Fokus auf alternative Antriebe und Elektromobilität legen (man könnte vielleicht sagen: leider mit großer Verspätung…), sind die meisten mittelständischen Zulieferer noch weit von einer wirklichen Transformation entfernt.
Transformation aus der Stärke heraus
Aus vielen Gesprächen mit mittelständischen Unternehmern und Geschäftsführern wissen wir, dass es viele Gründe für die Zurückhaltung bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gibt. Dazu gehören sicher auch die noch recht gut gefüllten Auftragsbücher und die damit verbundene Auslastung der Produktion. Gerade letztere führt gerne dazu, sich lieber auf Effizienzthemen zu konzentrieren statt Entwicklung und Transformation anzugehen. Erfahrung in anderen sich verändernden Märkten zeigen jedoch, dass eine erfolgreiche Transformation nur aus einer wirtschaftlich gesicherten Position der Stärke heraus erfolgreich sein kann.
Fachkräftemangel als Veränderungstreiber
Eine Motivation sich jetzt auch mit der internen organisatorischen Entwicklung zu beschäftigen, liegt in dem immer gravierender werdender Fachkräftemangel. Es wird zunehmend schwierig, bestehende Aufträge zeitgerecht abzuarbeiten. Dieses Dilemma trifft ganz besonders die Mittelständler im ländlichen Raum, die mehr und mehr über Kooperationen mit anderen Unternehmen und forschenden Einrichtungen neue Wege gehen müssen, um durch Stärkung der eigenen Arbeitgeberattraktivität ausreichend Fachpersonal zu rekrutieren. Der Nachweis der Zukunftssicherheit durch die eigene Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit ist dabei ein notwendiger Schritt zum erfolgreichen Employer Branding.
Im Gegensatz zu den großen, international agierenden Konzernen haben mittelständische Unternehmen in der Regel keine Stabsabteilung, die sich fokussiert um das Business Development kümmert oder Transformations-Spin-Offs, die in neuen Geschäftsfeldern experimentieren können. Gerade das Fehlen einer kontinuierlichen Unternehmensentwicklung trägt dazu bei, anstehende Transformationen im Zusammenhang mit der Digitalisierung eher als Bedrohung denn als Chance zu empfinden. Auch neue Geschäftsmodelle und Ideen, insbesondere wenn sie in absehbarer Zukunft die eigene Einnahmequelle kanibalisieren, werden schnell als riskant und unangemessen abgetan.
Nichts tun ist keine Option
Und dann ist da noch die Frage, wie ein Mittelständler mit der Transformation anfangen soll ohne gleichzeitig das laufende Geschäft zu gefährden? Startet man damit, das Geschäftsmodell (möglicherweise sogar disruptiv) zu verändern, oder ist es zunächst ausreichend, lediglich die Prozesse zu optimieren? Auch stellt sich die Frage, welche Zielsetzung oder gar Vision ein mittelständisches Unternehmen durch den Transformationsprozess führt. Ganz zu schweigen davon, wie diese den Mitarbeitern vermittelt wird.
Die Entscheidung für eine Unternehmenstransformation ist eine Reise mit einem zu Beginn noch unklaren Ziel. Diese Reise ist ein komplexes Vorhaben, begleitet von mitunter vieldeutigen Signalen, die am besten mit dem Akronym V.U.C.A. beschrieben werden können. Ein Punkt scheint jedoch klar zu sein: „Zuhause zu bleiben ist keine Option!“ Der Verbleib im Status Quo wird in den sich rasant verändernden Märkten dazu führen, dass die mittelständischen Unternehmen im positivsten Fall noch abhängiger werden von den wenigen großen Kunden (z.B. den Automotive OEM’s). Im ungünstigen Fall führt Nichtstun zum Verschwinden des Unternehmens vom Markt.
Wie Joschka Fischer in seinem Vortrag gesagt hat: Es braucht den Mut der Unternehmensleitungen zur Veränderung, denn der Zeitpunkt ist gekommen, die Transformation des eigenen Unternehmens zu starten, um dessen Zukunftsfähigkeit und die der deutschen Wirtschaft zu stärken.