Case Study

Aufbau eines internationalen Vertriebs im Bereich kerntechnischer Ingenieurleistungen

Zeichnung: 5 vor 12

Vorwort

Wir wollen Ihnen in dieser Fallstudie ein Projekt vorstellen, welches wir von Mitte 2017 bis Ende 2018 für die TÜV SÜD Energietechnik GmbH, einen internationalen Ingenieurdienstleister durchgeführt haben.

Zielgruppe dieses Papiers sind Führungskräfte, Entscheider und Unternehmensentwickler, die vor der Aufgabe stehen, einen Vertrieb für ihre Produkte und Dienstleistungen aufzubauen oder den bestehenden zu professionalisieren. Auch wenn es sich in unserem Fall um ein verwaltungsgeprägtes Dienstleistungsunternehmen handelt, kann Ihnen diese Studie auch als Produktions- oder Handelsunternehmen helfen.

Dieser Praxisbericht hat drei Schwertpunkthemen, die wir bewusst in getrennten Kapiteln behandeln. Sie haben damit die Möglichkeit, nach einer kurzen Lektüre der Einleitung direkt in das für Sie interessanteste Thema zu springen. Die drei Themen sind:

  1. Entwicklung von Vertriebsprozess und Vertriebsmanagement
  2. Aufbau einer agilen Organisation innerhalb hierarchischer Verwaltungsstrukturen
  3. Kommunikation der Veränderung und Integration des Vertriebsprozesses

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1. Einleitung

Ausgangssituation und Rahmenbedingungen

Foto: TÜV SÜD ET-Projektteam

Abbildung 1: Mitglieder des TÜV-Projektteams

  • Kunde: TÜV SÜD Energietechnik GmbH BW, Filderstadt und Mannheim
  • Branche: Technischer Dienstleister
  • Mitarbeiter: ca. 200 in Deutschland
  • Umsatz: ca. 30 Millionen €
  • Leistungen: Schwerpunkte in Beratung, Prüfung, Zertifizierung und Training
  • Projekt: Weiterentwicklung der Vertriebsstruktur
  • Projektdauer: 20 Monate
  • Einsatzorte: Filderstadt und Mannheim
  • Projektteam: 3 Berater von Mensch & Wandel, 3 Projektmitarbeiter auf Seiten des Kunden
  • Umsetzungsbegleitung: Interim-Vertriebsleitung durch die Mensch & Wandel GbR

Kundenprofil

Die TÜV SÜD Energietechnik GmbH Baden-Württemberg (kurz TÜV SÜD ET) ist eine 100-prozentige Tochter der TÜV SÜD AG und ein weltweit tätiges Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in Filderstadt und Mannheim.

Als Prozesspartnerin nationaler und internationaler Kunden erbringt sie technische Dienstleistungen auf den Gebieten der Energie- und Systemtechnik sowie Beratungs-, Begutachtungs- und Prüfleistungen gemäß § 20 Atomgesetz. Zu diesen gehören Kernkraftwerke, kerntechnische Anlagen, Industrieanlagen, Medizintechnik sowie alle Einrichtungen mit erhöhtem Gefährdungspotenzial.

Ausgangslage

Nach dem Reaktorunglück in Fukushima entschied die Bundesregierung 2011, stufenweise aus der Kernenergie in Deutschland auszusteigen. Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die TÜV SÜD Energietechnik, da der kerntechnische Bereich bis heute einen elementaren Baustein ihres Geschäftsmodells darstellt.

Um den Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze zu sichern, entschied sich die Geschäftsleitung daraufhin, den vorwiegend national ausgerichteten Kernenergiebereich auszuweiten. Kern dieser Strategie war der Aufbau eines internationalen Vertriebs. An dieser Stelle ist es für das weitere Verständnis hilfreich zu erwähnen, dass bis dato kein Vertrieb für den Verkauf ihrer Dienstleistungen notwendig war. Für die im Atomgesetz verortete Aufsichtspflicht und somit die Überwachung der Sicherheit von Kernkraftwerken sind die Umweltministerien der Länder zuständig. Zur Erfüllung dieser Aufgabe werden unabhängige Sachverständige hinzugezogen, die hohe Auflagen erfüllen müssen. Die TÜV SÜD ET GmbH BW ist der Generalgutachter des baden-württembergischen Umweltministeriums, das für die Aufsicht der Kerntechnischen Anlagen in Baden-Württemberg zuständig ist.

Auftrag und Ziele

  • „Das bestehende Vertriebskonzept wurde verifiziert und zur Umsetzungsreife entwickelt“
  • „Mitarbeiter und Organisation sind ab 30.09.2017 in der Lage, die erwarteten Leads aus einer bereits geplanten Marketingkampagne professionell zu bearbeiten“
  • „Die Vertriebsstruktur ist ab Januar 2018 in die bestehende Organisation der TÜV SÜD ET GmbH BW integriert und funktionsfähig“

Für die fachliche Begleitung suchte die Unternehmensleitung eine Beratungsgesellschaft mit Expertisen in den Bereichen Vertrieb und Unternehmensentwicklung. Zudem musste diese in der Lage sein, die Mitarbeiter beider Standorte in den Veränderungsprozess zu integrieren. Im Verlaufe des Projektes wurde der Auftrag für Mensch & Wandel um den Einsatz eines Interim Vertriebsleiters erweitert. Dieser sollte die Integration der neuen Strukturen und Prozesse vor Ort fördern, einen geeigneten internen Vertriebsleiter identifizieren und integrieren und deren Praktikabilität im Unternehmensalltag testen.

Prämissen

Aufgrund der Komplexität der Aufgabenstellung wurde das Projekt von Seiten Mensch & Wandels mit drei festen Beratern ausgestattet. Jeder von ihnen verantwortete ein Schwerpunktthema: Vertrieb, Organisation und Change-Management. Für spezielle Themenstellungen wurde temporär die fachliche Expertise weiterer Berater hinzugezogen. Die Projektleitung auf Seiten des Kunden berichtete direkt an die Geschäftsleitung, die als Auftraggeber fungierte.

2. Auftragsklärung und Handlungsfelder

Aus Sicht des Kunden ging es zunächst nur darum, den vorhandenen Vertriebsprozess so zu entwickeln und zu integrieren, dass damit die eigenen Dienstleistungen national und international verkauft werden können. Erste Ansätze dazu in den vorangegangenen Jahren führten zu keinen tragfähigen Ergebnissen und erzeugten eher Unsicherheit oder Gleichgültigkeit bei den Mitarbeitern, die sich bis dato noch immer in der Sicherheit des Bestandsgeschäftes wähnten. Der aktive Verkauf der eigenen Dienstleistungen im Neukundenbereich und im freien Markt erfolgte nur durch wenige Mitarbeiter, in der Regel Führungskräfte des Unternehmens. Doch wie etabliert man Vertriebsdenken und- handeln in einem Unternehmen, das in seinem angestammten Geschäftsfeld individuelle Spezialberatung ohne großen Zeit- oder Kostendruck leisten kann und dem es deshalb auch schwerfällt, seine Angebote zwischen den Kosten-, Leistungs- und Terminzielen kundenorientiert auszubalancieren?

Folgende Fragen sollten uns zu Beginn helfen, den Kunden zu verstehen, und ihm wiederum unser Verständnis dieses Projektes nahezubringen:

  1. Wo lässt sich der Vertrieb in der bestehenden Organisation integrieren?
  2. Wie muss die bestehende Organisation dafür angepasst werden?
  3. Stehen die Mitarbeiter hinter dieser Strategie oder müssen sie noch überzeugt werden?

Die Antworten auf diese Fragen machten schon zu Beginn deutlich, dass es mit der Gestaltung des Vertriebsprozess allein nicht getan sein konnte. Vielmehr war ein Business Development nötig, das Struktur, Kultur und andere Handlungsfelder betrachtet und bearbeitet, um die erfolgreiche Umsetzung des Vertriebsprozesses zu gewährleisten.

Grafik Handlungsfelder

Abbildung 2: Handlungsfelder

Abbildung 1 zeigt in der Übersicht die zu bearbeitenden Handlungsfelder. Die orangen Felder stellen dabei die notwendigen zu bearbeitenden Themenbereiche dar. Die Wolken-Felder haben über den Vertriebsprozess hinaus Einfluss auf die Gesamtorganisation und waren zumindest teilweise in der Organisation vorhanden. Die Felder in den Rauten hingegen mussten als unmittelbare Unterstützungsprozesse neu entwickelt werden. Mit Blick auf die zeitlichen und finanziellen Ressourcen wurden die Felder Projektmanagement und Produktmanagement nur grob definiert und nicht in der Tiefe bearbeitet. Nachfolgend wollen wir Ihnen kurz die einzelnen Handlungsfelder erläutern.

Geschäftsmodell

In einem zweitägigen Workshop mit der Geschäftsleitung und der zweiten Führungsebene wurde von Prof. Ronny Baierl (Mensch & Wandel) das Konzept der Geschäftsmodell-Innovation anhand der Business Model Canvas vorgestellt. Wenngleich dieser Ansatz für einige der Beteiligten neu war, so entwickelte sich doch schnell ein Verständnis für die Fragestellungen. Daraus ergaben sich intensive Diskussionen darüber, welche Wertangebote das Unternehmen für seine Kunden erbringt, und wer diese eigentlich sind, bzw. zukünftig sein sollen. Grundlegende Fragen für einen erfolgreichen Vertriebsprozess, deren Antworten in intensiven Diskussionen mit der Business Model Canvas-Methode entwickelt wurden.

Struktur, Kommunikation und Kultur

Neben dem Vertriebsprozess bedurfte die Bearbeitung dieser drei Felder des größten Aufwands. Hierbei standen die Überlegungen im Mittelpunkt, an welcher Stelle der Vertriebsprozess und die Unterstützungsprozesse in die bestehende Organisation integriert werden sollen. Zudem musste ein Konzept entwickelt werden, das die Bearbeitung der Prozesse mit den bestehenden Ressourcen sicherstellt. Kultur bedeutete hier, durch aktives Change-Management bei den Mitarbeitern Akzeptanz für das Vertriebskonzept zu schaffen und ein neues, kundenorientiertes Mindset zu entwickeln.

Ressourcenmanagement

Alle Rollen und Aufgaben im und am Vertriebsprozess mussten durch die bestehenden Mitarbeiter erbracht werden. Neueinstellungen waren nicht geplant. Die Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze hatte höchste Priorität. Zum einen hat das Ressourcenmanagement die steuernde Aufgabe, die Mitarbeiter neben ihrem Tagesgeschäft in Vertriebsaktivitäten einzubinden. Dies gilt insbesondere für die Erstellung von Angeboten oder Kundenbesuche. Das Ressourcenmanagement hat dabei die Aufgabe, mit den Linien-Führungskräften nach Bedarf über dafür notwendige Mitarbeiterkapazitäten zu verhandeln, und die Auslastung der Mitarbeiter in ihren Vertriebsrollen zu steuern. Die andere Aufgabe des Ressourcenmanagements besteht in der Analyse und Planung des strategischen Personalbedarfs, der in die Unternehmensplanung einfließt. Die dafür notwendigen Daten werden sowohl ex post ermittelt, als auch aus Projekterwartungen abgeleitet.

Marktforschung und Marketing

Marketing und Marktforschung waren de facto nicht vorhanden, da sie für das bestehende Geschäftsmodell nicht benötigt wurden. Lediglich auf Seiten des Konzerns wurden diese Aufgaben zentral wahrgenommen und gewisse (standardisierte) Leistungen konnten bei Bedarf eingekauft werden.

CRM (Customer-Relationship-Management)

Der Konzern verfügt über ein SAP-basiertes CRM-System, das bislang jedoch nur rudimentär vom Auftraggeber genutzt wurde. Da aus unserer Sicht für ein effektives Vertriebsmanagement die Integration eines CRM-Systems notwendig ist, musste geprüft werden, ob die bestehende Software sinnvoll in den Vertriebsprozess integriert werden könnte oder eine Neuanschaffung notwendig würde. Die Entscheidung fiel zugunsten des bestehenden Systems, da dieses bereits im Konzern etabliert war, und sich die Phasen des Vertriebsprozesses darin fast deckungsgleich abbilden ließen. Im Wesentlichen musste nur das Berechtigungskonzept angepasst werden und die Rolle des CRM- Verantwortlichen wurde an eine Mitarbeiterin übertragen. Zu ihren Aufgaben gehört  das Berechtigungsmanagement, Customizing und CRM-Schulungen von Mitarbeitern.

Produktmanagement

Das Produktmanagement war bislang im Unternehmen kaum entwickelt. Eine Übersicht der Dienstleistungen, die bislang von den verschiedensten Fachbereichen des Unternehmens für Kunden erbracht wurden, waren im Rahmen von rechtssicheren Leistungsverzeichnissen festgelegt. Für die bislang noch geringen Vertriebsaktivitäten reichten rudimentäre Leistungsbeschreibungen aus, die auch als Ausgangsbasis für das Angebotswesen bei der Teilnahme an Ausschreibungen diente. Der eigentliche Vertrieb bestand im Wesentlichen aus zwei Führungskräften, deren akquirierte Aufträge überwiegend auf ihren umfangreichen Erfahrungen, internationalem Netzwerk und ihrer Fachexpertise bauten, um die vom Markt geforderten maßgeschneiderten Lösungen realisieren zu können. Die einzelnen oben aufgeführten Handlungsfelder wurden jeweils von einem Mensch & Wandel- Berater und einem internen Projektmitarbeiter der TÜV SÜD ET BW bearbeitet.

Zwischenfazit

Zusammenfassend ist an dieser Stelle zu sagen, dass im Rahmen der Unternehmensentwicklung Prozesse und Strukturen in den vergangenen Jahren laufend optimiert wurden, und die gesamte Organisation über eine hohe fachliche Professionalität verfügt. Im Vordergrund aller Optimierungen stand dabei immer die Qualität der Beratungs- und Prüfungsleistungen. Eine akribisch auf Qualität fokussierte Organisation (und nichts anderes würden wir uns bei der Prüfung kerntechnischer Anlagen wünschen) hat allein mental bedingt Probleme damit, in Angebots- und Wettbewerbssituationen schnell, flexibel und kostenorientiert zu reagieren. Die Herausforderung in dem Projekt lag somit auch darin, die vorhandenen Stärken der Organisation in neue Bahnen zu lenken, ihre Agilität zu erhöhen und das Mindset der Mitarbeiter anzupassen.

3. Ansatz und Vorgehen

Auftragsklärung

Sechs Veränderungsfragen an das Management

Abbildung 3: Veränderungsfragen an das Management

Bereits in der Phase der Auftragsklärung wurde der Grundstein für das projektbegleitende Change-Management gelegt. Dafür haben die Führungskräfte der ersten und zweiten Führungsebene zur Vorbereitung des ersten gemeinsamen Workshops ngsfragen erhalten, die jeder für sich beantworten sollte.

Im Zuge des Management-Kick-offs wurden anschließend wichtige Fragen zu Projektakteuren und Gremien, Termine und Meilensteine geklärt. Dabei wurden die Antworten zu den Veränderungsfragen diskutiert und jeweils zu einer gemeinsamen Grundaussage konsolidiert. Daraus entstand ein gemeinsames Zukunftsbild als Grundlage für eine glaubhafte Veränderungskommunikation gegenüber den Mitarbeitern.

Erhebungs- und Analysephase

Nur wenn ein (komplexes) Problem in allen Perspektiven verstanden ist, hat man die Chance, dafür eine tragfähige Lösung zu entwickeln, die wirklich funktioniert. Eine mangelhafte Bestandsaufnahme ist daher eine der häufigsten Ursachen, weshalb Projekte scheitern. Ohne eine qualitative Erhebung ist keine seriöse Analyse möglich und damit fehlt die Grundlage für ein wirksames Konzept.

Doch kennen wir einige Beratungsprojekte bei denen die Berater schon von vorneherein „wissen“ was die Situation oder das Problem des Klienten ist, und dafür bereits eine fertige Lösung/ ein fertiges Konzept im Koffer haben. Aus unserer Sicht gibt es jedoch keine Standardlösungen oder gar Rezepte, die sich jedem beliebigen Unternehmen mit annähernd ähnlichen Konstellationen überstülpen lassen.

Die Erhebung durch Mensch & Wandel umfasste Dokumentenstudien und Interviews mit Mitarbeitern aus verschiedenen Ebenen des Unternehmens. Der Perspektivwechsel und die systemische Sicht haben uns auch in diesem Projekt Einblicke verschafft, die wir über Gespräche allein mit dem Auftraggeber nie erhalten hätten. Hier zeigt sich für uns wiederholt, dass eine konsequente systemische Sicht unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg ist, denn unbearbeitete Konflikte auf den Führungsebenen setzen sich immer nach unten fort. In diesem Projekt führten die Gespräche mit Mitarbeitern aus allen Ebenen des Unternehmens für uns zu einem differenzierteren Bild über die Rahmenbedingungen und Handlungsfelder – und einer Anpassung des Projektauftrages.

Change-Management

Das Change-Management umfasste im Wesentlichen das interne Projektmarketing, verschiedene Mitarbeiterinterviews mit Feedback an die Führungskräfte sowie die Entwicklung einer visualisierten Change Story für die Kommunikation.

4. Konzeption und Planung Pilot

In der Konzeptionsphase wurden im Wesentlichen folgende Teilprojekte bearbeitet, von denen wir Ihnen hier drei (*) vorstellen:

  • Change-Management (*)
  • CRM
  • Geschäftsmodell
  • Marketing
  • Pilot
  • Ressourcenmanagement
  • Rollenmodell/ Managementsystem (*)
  • Vertriebsprozess (*)
Grafik Vorgehensmodell

Abbildung 4: Projektplan (vereinfachte Übersicht)

Um den Umfang der Fallstudie in Grenzen zu halten, haben wir uns entschieden, nachfolgend nur die Teilprojekte Change-Management, Rollenmodell und Vertriebsprozess tiefergehend zu beschreiben.

Durchführung Pilot

Bereits vor Beginn des Projektes hatte die Geschäftsleitung über den Konzernbereich Global Marketing eine Kampagne für ein internationales Fachseminar gestartet, das von Mitarbeitern der TÜV SÜD ET BW durchgeführt werden sollte. Mit Beginn des Projektes wurde aus der Kampagne ein Pilotprojekt, an welchem sich die Funktionsweise des CRM-Systems und des gemeinsam weiterentwickelten Vertriebsprozesses testen lassen sollten.

Umsetzung Vertriebsorganisation

Auf Basis eines gemeinsam entwickelten Organisationsmodells (siehe unten) wurde der neue Vertriebsprozess einem Geschäftsbereich zugeordnet und mit den bestehenden Prozessen verknüpft. Die Implementierung umfasste die Zuordnung von Mitarbeitern und Definition der AKV (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichleiten), die Zuordnung der Schnittstellen und Festlegung von Gremien und Instanzen. Die Einführung wurde im ersten Quartal 2018 erfolgreich abgeschlossen.

Interim Management

Über die gesamte Projektlaufzeit stellte die Geschäftsleitung in Frage, ob ein geeigneter Vertriebsleiter aus den eigenen Reihen kommen könnte. Wenngleich sich aus dem Projektteams heraus Interesse für diese Position entwickelte. Um die Vertriebsorganisation ausgiebig auf ihre Praxistauglichkeit zu testen und im Markt zu erproben, wurde Martin Schanze, Projektleiter auf Seiten der Mensch & Wandel GbR, als Interim Vertriebsleiter beauftragt. Der Umfang der Tätigkeit umfasst zwei Tage pro Woche und dauerte bis Ende 2018.

5. Handlungsfeld Vertriebsprozess (Autor: Martin Schanze)

Eine besondere Herausforderung bei der Einführung einer Vertriebsfunktion in der beschriebenen Organisation (Ingenieurgesellschaft; hochspezialisierte und kompetente Fachkräfte; Gutachter; etc.) ist die Veränderung in den Köpfen der Mitarbeiter. Aktiver Vertrieb stand bis dato nicht auf der Agenda der Organisation, zumal „Verkauf“ ohnehin ein negativ belegter Begriff und damit weit weg von eigenen Aufgabenfeld war. Insofern ging es neben der Organisationsänderung (Ergänzung einer Funktion oder Rolle im Organigramm) gleichermaßen um die nachhaltige Veränderung der Kultur.

In der „neuen Welt“ steht der Kunde im Mittelpunkt. Der Kunde mit seiner Erwartungshaltung, mit seinen spezifischen Problemen, seinen Zwängen und Rahmenbedingungen. Und diese Veränderung hin zur Kundenorientierung ist mehr eine Frage der Haltung als eine Frage der Fachlichkeit.

In einer kundenorientierten Welt geht es erstmal darum, den Kunden und sein Business umfassend zu verstehen. Dies erfordert den intensiven Dialog, das Stellen der richtigen Fragen, den Aufbau einer vertrauensvollen Geschäftsbeziehung und die Stärkung der Selbstwirksamkeit von Mitarbeitern und Organisation.

Vertriebsphilosophie

Im ersten Schritt der Einführung ging es um den Aufbau einer Vertriebsphilosophie, deren Grundlage von allen Mitarbeitern verstanden und anerkannt werden sollte. Kundenorientierung in einem komplexen Dienstleistungsgeschäft unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Produktverkauf. Lösungsorientierung und spezifische Nutzendarstellung setzen voraus, dass die vertrieblich arbeitenden Mitarbeiter die Kundensituation vollständig erfassen und verstanden haben. Damit sind Sie in der Lage, den Kunden in der Rolle eines Beraters dabei zu unterstützen, tragfähige Lösungen für seine Probleme zu erarbeiten.

Neben der Vertriebsphilosophie ging es im Anschluss darum, den Vertriebsprozess über den gesamten Vertriebslebenszyklus hinweg zu beschreiben. Im komplexen Lösungs- und Beratungsgeschäft kann dieser Vertriebszyklus leicht mehrere Jahre dauern. Deswegen muss der Vertriebsprozess in jeder Vertriebsphase exakt beschrieben und allen vertrieblich tätigen Mitarbeitern im Unternehmen bekannt sein. Dies hat sich auch bei der ersten Analyse der bereits bearbeiteten Vertriebsprojekte sehr deutlich gezeigt. Gefragt nach einer Selbsteinschätzung zur Einordnung der Opportunities im Vertriebstrichter (Sales-Funnel) stellte sich heraus, dass sich mehr als 80% der Vertriebsprojekte kurz vor oder bereits in der Verhandlungsphase befanden. Die frühen Phasen des Vertriebsprozesses (Leadgenerierung, Projektqualifizierung und Anforderungsverständnis) waren fast gar nicht vorhanden.

Grafik Sales Funnel Ist-Zustand

Abbildung 5: Ergebnis der Analyse bereits bestehender Vertriebsaktivitäten

Erwartet hätten wir eine Verteilung wie in der Abbildung 7 gezeigt, die in den frühen Phasen des Vertriebsprozesses viele Vertriebsprojekte enthielt und mit zunehmender Zeitdauer bis zur Vertragsverhandlung eine abnehmende Anzahl Opportunities enthält.

Im weiteren Verlauf der Analyse stellte sich heraus, dass die Kundenanfragen nach Angeboten oder Dienstleistungspreisen ausnahmslos und ohne weitere Qualifizierung beantwortet wurden. Gezielte Fragen zur Kundensituation, Projekthintergründen, Erwartungen oder Motivation der Kunden wurden in der Regel nicht gestellt. Dadurch ergab sich ein ausschließlich reaktiver Ansatz von der Kundenanfrage über das Angebot bis zur Preisverhandlung. Und die einzig differenzierende Frage in der Verhandlungsphase blieb der Preis. Kam ein Angebot dann nicht zum Tragen, wurde das von den Mitarbeitern oft als fehlende Wertschätzung ihrer Leistungen gesehen.

Ein richtig aufgesetzter und von allen Mitarbeitern gelebter Vertriebsprozess, sorgt für die aktive Steuerung aller Aktivitäten und Maßnahmen, die die Erwartungen und Bedarfe ihrer Kunden erfüllen und damit auch der eigenen Zielerreichung dienen.

Grafik Vertriebsprozess

Abbildung 6: Der Vertriebsprozess über alle Phasen

Ansatz

Der neu implementierte Vertriebsprozess, ein Vertriebsreporting das sich aus validen Daten des eingeführten Customer Relationship Management Systems (CRM) speiste und die Nachhaltung über ein gezieltes Kennzahlensystem ermöglichte erstmals mehr Transparenz und damit Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit vertrieblicher und daran angrenzenden Aktivitäten.

Grafik Opportunity Management

Abbildung 7: Steuerung über den gesamten Vertriebszyklus, mit Hilfe des Vertriebsprozesses, dem Forecast auf Basis des Vertriebstrichters (Sales Funnels) bis hin zur Planung der Auftragseingänge und Umsätze

Fazit zum Handlungsfeld Vertriebsprozess

Die TÜV Süd ET BW hat sich im Projektverlauf erfolgreich zu einem Beratungsunternehmen mit Prüfungs- und Begutachtungskompetenz weiterentwickelt. Die international ausgerichtete Vertriebsorganisation verfügt über alle notwendigen Strukturen und Prozesse, die auch mit den sich angrenzenden Abteilungen abgestimmt und synchronisiert ist. Sie ist in der Lage, dass künftige Wachstum des Unternehmens optimal zu unterstützen und voran zu treiben und sichert damit deren Zukunftsfähigkeit.

6. Handlungsfeld Organisationsdesign (Autor: Christian Eichhorn)

Im Teilprojekt Organisationsdesign befassten wir uns mit der Organisationsstruktur und den Managementprozessen. Die Kernfrage lautete dabei: „Wie können wir den neuen Vertriebsprozess in das Unternehmen integrieren und dessen Lebensfähigkeit sicherstellen, ohne die gewachsene Organisationsstruktur zu destabilisieren?“ Dazu bedienten wir uns im Wesentlichen zweier Konzepte: Dem Viable System Model (VSM) als Referenzmodell und einem auf Selbstorganisation basierenden Rollenmodell.

Lebensfähigkeit des Systems sicherstellen

Eingriffe in bestehende Strukturen und Prozesse eines Unternehmens sind immer komplex und riskant. Es besteht dabei die Gefahr, dass wichtige Aspekte übersehen werden und Veränderungen oder Neuerungen nur unvollkommen integriert werden. Wir vergleichen die Gestaltung einer Organisation gerne mit einer Operation an einem Menschen: beides sind lebende offene Systeme mit hoher Komplexität, die sich einem mechanistischen Ansatz widersetzen.

Grafik Viable System Model

Abbildung 6: Viable System Model (nach Stafford Beer)

Analog den anatomischen Lehrtafeln in der Medizin gibt es bereits seit vielen Jahren ein Pendant für organisatorische Systeme: Das Viable System Model (VSM). Das 1959 von Stafford Beer als kybernetisches Managementmodell entwickelte VSM dient uns als Referenzmodell, um das in die Organisation integrierte Vertriebssystem auf seine Funktionalität zu überprüfen und die Lebensfähigkeit der gesamten Organisation zu simulieren.

Schließlich handelte es sich nicht nur um eine Veränderung des bestehenden Systems, sondern um dessen Erweiterung um ein zentrales Element. Im medizinischen Vergleich würde dies am ehesten einer neuen künstlichen Gliedmaße entsprechen, das einem Menschen transplantiert würde, ohne dass zuvor ein ähnliches vorhanden gewesen wäre. Dabei erachten wir es als selbstverständlich, dass die Operateure dessen Funktionen und Verbindungen zum Körper ausgiebig untersuchen, anpassen und mögliche Abstoßungsreaktionen von Anfang an zu unterbinden versuchen. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass bei Operationen an und in Organisationen (Integration neuer Bereiche, Fusionen, Reorganisationen u.a.) nur selten die gleiche Sorgfalt aufgewendet wird. Sei es aus finanziellen Gründen, aus Unwissenheit oder Zeitnot. Die Folgen dieser Nachlässigkeit füllt mittlerweile ganze Werke der Managementliteratur.

In diesem Projekt diente uns das Viable System Model als Grundlage für verschiedene Szenarien zur Integration des Vertriebsprozesses. Um jedoch mit dem VSM arbeiten zu können, musste dieses zuerst an die Organisation der TÜV SÜD ET BW angepasst werden.

Grafik Viable System Model TÜV SÜD ET

Abbildung 7: VSM TÜV SÜD ET-spezifisch mit Integration Vertrieb

Anschließend betteten wir den Vertriebskreis in das bestehende Modell ein. Doch so einfach dies grafisch zu lösen war, so schwer gestaltete es sich, funktional sinnvolle Verbindungen zu den Systemen und Kanäle der bestehenden Organisation zu ziehen. In intensiven Diskussionen mit dem Projektteam und dem Management wurden anhand von Szenarien die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Organisationsdesigns diskutiert. Dabei stellten sich u.a. Fragen wie:

  • Welche Kundengruppen und Märkte sollen durch den Vertrieb bearbeitet werden?
  • Für welche der vier wertschöpfenden Einheiten (EINS) soll der Vertrieb tätig werden?
  • Und wie ist der Vertrieb an das operative (DREI) und strategische (VIER) Management angebunden?

Insbesondere die letzte Frage führte zu einem völlig neuen, und heftig diskutierten Ansatz für die Gestaltung der Organisationsstruktur: Dem Rollenmodell. Denn bei der grafischen Einbettung des Vertriebskreises in das bestehende Organisationsmodell erkannten wir, dass bei der Verbindung mit DREI und VIER Aufgaben erfüllt werden mussten, die in dieser Form bisher nicht notwendig und somit auch nicht besetzt waren. Dazu gehörten insbesondere das operative und strategische Marketing, das Ressourcen- und Produktmanagement. Eine der Prämissen des Projektes war jedoch, dass alle mit dem Vertrieb in Verbindung stehenden Aufgaben durch die vorhandenen Mitarbeiter abgedeckt werden mussten. Da jedoch keine dieser Mitarbeiter „abkömmlich“ waren, mussten die zusätzlichen Vertriebsaufgaben neben dem Tagesgeschäft geleistet werden.

Entwicklung einer Parallelorganisation für den Vertrieb

Um diese Zusatzaufgaben strukturieren und steuern zu können, haben wir ein Rollenkonzept für eine Netzwerkorganisation entwickelt, die mit der pyramidalen Linienorganisation verbunden, alle Vertriebsaufgaben verantwortlich managen sollte.

Grafik: Rollen- und Linienorganisation

Abbildung 10: Linienorganisation mit gekoppelter Netzwerk- organisation (Modell)

Dafür wurden im ersten Schritt nach dem AKV-Prinzip die Aufgaben mit den dafür notwendigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten definiert. Während von vornherein klar war, dass die drei Mitarbeiter des Projekt-Kernteams wesentliche Rollen übernehmen werden, gab es verschiedene Überlegungen, wie weitere Rolleninhaber gewonnen werden könnten. Letztlich entschied man sich dafür, ausgewählten Mitarbeitern Rollen in der Vertriebsorganisation anzubieten. Bei der Beschreibung der Aufgaben und ihrer Zuordnung zu Rollen wurde schnell klar, dass neben den klassischen Vertriebsrollen weitere Rollen im Rahmen von Unterstützungsprozessen geschaffen werden mussten. Um die Steuerung und Transparenz zu verbessern, wurden alle Rollen in drei Themenkreisen zusammengefasst, deren Verantwortlichen direkt der Geschäftsleitung berichten:

Grafik: Themen- und Rollenkreise

Abbildung 11: Themen- und Rollenkreise (Übersicht

  1. Im Vertriebskreis wurden alle operativen und unmittelbaren Vertriebsrollen zusammengefasst: Key Accounting, CRM und Operatives Marketing.
  2. Die Rollen im Ressourcen- und Portfoliomanagement haben die Aufgabe, Verbindung zum operativen Tagesgeschäft sicherzustellen, Ressourcen zu koordinierten und Transparenz zu schaffen. Dazu gehören: Portfoliomanagement, Ressourcenmanagement und Ressourcensteuerung. Während das Portfoliomanagement alle Vertriebsprojekte im Unternehmen koordiniert, ist die Ressourcensteuerung für die operativen Anforderungen des Vertriebs verantwortlich und handelt die benötigten Personalressourcen mit der Linie aus. Das Ressourcenmanagement wiederum ermittelt aus den Vertriebs- und Projektinformationen den mittelfristigen Personal- und Personalentwicklungsbedarf.
  3. Um die kontinuierliche Weiterentwicklung von Vertrieb und Unternehmen sicherzustellen, wurde ein weiterer Entwicklungskreis geschaffen. Neben dem strategischen Marketing und Produktmanagement fällt dem Businessmodelling eine besondere Rolle zu. Entgegen dem allgemeinen Verständnis dieses Begriffs (Prozessgestaltung, BPMN u.a.) hat er hier die Bedeutung von Business Development bzw. Unternehmensentwicklung. Da Business Development als Begriff im Konzern jedoch bereits besetzt war entschieden wir uns für Businessmodelling.

Nachdem die Rollen und Rollenkreise definiert und beschrieben waren, kamen wir wieder auf das VSM zurück. Die Rollenkreise wurden darin den Systemen zugeordnet und mit den Kanälen verbunden, woraus sich wiederum Antworten für die neuen und anzupassenden Managementprozesse ergaben.

Fazit Organisationsdesign

Bei Vorstellung des Vertriebskonzepts hatte die Geschäftsleitung bedenken, dass die Arbeit in Rollenkreisen zu Effizienzeinbußen im Tagesgeschäft führen konnte. Aus diesem Grund wurde der Zeitanteil für die Rollen je Mitarbeiter auf maximal 20 Prozent festgelegt, mit der Anforderung, die geleisteten Aufwände zu dokumentieren. Etwa ein Jahr nach der Einführung hat die Auswertung der Zeiterfassungen ergeben, dass die Produktivität im Tagesgeschäft lediglich um 2% sank. Das Controlling und die Steuerung der Ressourcen stellt einen Schlüsselaspekt bei der Arbeit in einem parallel zum bestehenden System integrierten Rollenmodell dar, denn bei aller Begeisterung und Engagement für die neuen Aufgaben, muss die Qualität und Umfang des Tagesgeschäfts sichergestellt sein.

7. Handlungsfeld Change-Management (Autorin: Sibylle Eichhorn)

Zeichnung: TÜV SÜD ET-WorkshopKommunikation der Veränderung

Stehen die Mitarbeiter hinter der Vertriebsstrategie oder müssen sie noch überzeugt werden? Schon zu Beginn war deutlich erkennbar, dass es mit der Gestaltung des Vertriebsprozesses allein nicht getan sein konnte. Struktur, Kultur und andere Handlungsfelder mussten ebenfalls betrachtet und bearbeitet werden, um die erfolgreiche Integration des Vertriebsprozesses zu gewährleisten.

Kommunikation und Kultur

Bei der Bearbeitung dieser beiden Felder stand die Überlegung im Mittelpunkt, wie der Vertriebsprozess und die Unterstützungsprozesse in die bestehende Organisation integriert werden können. Dazu musste ein Konzept entwickelt werden, das die Bearbeitung der Prozesse mit den bestehenden Ressourcen sicherstellt. Kultur bedeutete hier, durch aktives Change-Management bei den Mitarbeitern Akzeptanz für das Vertriebskonzept zu schaffen und ein neues Mindset zu entwickeln.

Auftragsklärung

Für das projektbegleitende Change-Management wurden mit allen Führungskräften der ersten und zweiten Führungsebene im Rahmen eines ersten gemeinsamen Workshops abgestimmte Grundaussagen auf Basis der sechs Veränderungsfragen erarbeitet (siehe Abb. 3). Das daraus entstandene Zukunftsbild sollte die Grundlage für eine glaubhafte Veränderungskommunikation gegenüber den Mitarbeitern bilden.

Erhebungs- und Analysephase

Bei jeder Analyse sind die sichtbaren Elemente relativ leicht zu identifizieren. Dabei entsprachen die Wahrnehmungen der GL (Geschäftsleitung) und zweiter Führungsebene in einigen Punkten nicht dem kulturellen Ist-Zustand wie er von den Mitarbeitern wahrgenommen wurde. Man könnte das auch als „normale Betriebsblindheit“ bezeichnen.

Die Werte und Einstellungen in den Köpfen der Mitarbeiter haben wir versucht durch Befragungen und das Storytelling erkennbar zu machen. Der zuvor bereits intern angestoßene Veränderungsprozess stagnierte zu Beginn unseres Beratungsprojektes ganz offensichtlich seit Monaten. Es hatte den Anschein, dass aufgrund von Erfahrungen aus vorangegangenen Veränderungsprozessen die Motivation in Teilen der Belegschaft gering war, die aktuelle Veränderung mitzutragen. Aufgrund unterschiedlicher Meldungen und Informationen aus dem Management und anderer Gremien, bestand zudem viel Raum für Gerüchte.

Analyse und Bewertung

Zu Beginn des Change-Teilprojektes wurden die Informationen aus den Dokumentenstudien, dem ersten Workshop und den Interviews mit Geschäftsleitung und Führungskräften ausgewertet. Im Zuge von Analyse und Bewertung ergaben sich mehrere Erfolgsfaktoren, die unabdingbar für eine regelmäßige, schnelle und agile Veränderungskommunikation sprachen:

  1. „Alea jacta est“, die Entscheidung für das Veränderungsprojekt in allen Dimensionen musste von der GL getroffen und konsequent umgesetzt werden. Eine Grundvoraussetzung war das Commitment aller Führungskräfte für das gesamte Veränderungsvorhaben.
  2. Die Ziele sollten sowohl kraftvoll als auch emotional definiert sein, was eine Vision und ein klares Zukunftsbild voraussetzt.
  3. Diese Vision sollte über den ganzen Veränderungsprozess an alle Mitarbeiter kommuniziert werden, auf der kognitiv-rationalen als auch auf der emotionalen Ebene.
  4. Relevante Inhalte: Die Mitarbeiter der TÜV SÜD ET BW sind sowohl kritisch als auch harmoniebedürftig. Wiedergekäute Kernbotschaften und kraftlose Texte werden schnell als solche entlarvt und ignoriert. Inhalte, die relevant, klar strukturiert und auf den Punkt gebracht sind, finden hingegen ihr Publikum, wenn nach Worten auch Taten folgen. Selbst wenn Sie abstrakt verkleidet, also in Form einer Geschichte verpackt waren, die im starken Gegensatz zur Form einer ansonsten sehr sachbasierten Kommunikation steht.

Kommunikationskonzept

Das Konzept sollte sich am aktuellen Tagesgeschehen orientieren. Und bei Veränderungsprojekten dieser Größenordnung passiert fast jeden Tag im Unternehmen etwas, worüber es sich zu berichten lohnt:

  • Teilergebnisse zu den Pilotprojekten
  • Berichte zu den Workshops durch die Führungskräfte
  • Berichte durch GL und Projektteam zum Projektfortschritt vor dem Betriebsrat
  • Große und kleine Erfolge und entsprechende KPI-Metriken
  • Gezielte Kommunikation durch das interne und externe Projektteam

Durch das Einrichten von Feedbackkanälen wurde auch bewusst den Mitarbeitern das Wort gegeben, damit sie hier diskutieren, Fragen stellen und Themenwünsche äußern können: z.B. Austausch mit dem Projektteam, den Führungskräften, ein separater Projektkanal auf Yammer, fester Tagesordnungspunkt in den Bereichsbesprechungen, etc…

Change Story

Die übliche Kommunikation von Veränderungen erfolgte bislang meist als Ansage der Führungskräfte bei Informationsveranstaltungen, per Mailbotschaften und in Besprechungen, meist ohne direkten Dialog mit den Mitarbeitern.

Die Change Story sollte Orientierung geben, die Sinnhaftigkeit des Vorhabens erklären und durch die klare Erwartungshaltung Verbindlichkeit schaffen. Sie soll klarmachen, dass die Notwendigkeit für das Unternehmen wichtig und dringlich ist und diese nur durch die Mitwirkung aller bewältigt werden kann.

Um eine positive Entwicklung auszulösen, sollte mittels dieser Story die Aufmerksamkeit aller Organisationsmitglieder auf das Positive ausgerichtet werden: auf Stärken und erbrachte Leistungen, auf ein positives Selbst- und Fremdbild, sowie auf eine positive Vorstellung von der Zukunft.

Eine gute Change-Story zeigt den Sinn und führt zum Ziel

Im Rahmen eines Veränderungsprozesses ist es notwendig, allen Betroffenen die Change-Story so zu vermitteln, dass sie die Sinnhaftigkeit, Nützlichkeit und Ernsthaftigkeit der Veränderung akzeptieren können. Diese beinhaltet die Begründung, warum sich das Unternehmen verändern muss, welche Zukunftsstrategie und Ziele das Unternehmen anstrebt, wie der Weg dorthin gestaltet wird und welche persönlichen Chancen, aber auch Konsequenzen für jeden Einzelnen in der Veränderung liegen.

Neben der Darstellung der Fakten, die zur Veränderung und in die gemeinsame Zukunft führen, sollten in der Geschichte auch „tabuisierte Themen in Worte gekleidet werden“ und somit Raum geben, über diese zu diskutieren. Um wirksam zu sein, musste sowohl der Ist-Zustand als auch der gewünschte Soll-Zustand mit einbezogen werden, um auf dieser Basis für Jeden zu verdeutlichen: „Wie kommen wir da hin?“.

Grafik: Würfelnder Römer

Alle grundlegenden Weichenstellungen sind untrennbar an die formale Führungsautorität gekoppelt. Das durchdachte und schlüssige Konzept der Change Story kann nur aufgehen, wenn seine konsequente Umsetzung sichergestellt ist – und dies hängt fast ausschließlich von der Entschiedenheit und Entscheidungsbeständigkeit der Geschäftsleitung ab.

Die von Mensch & Wandel entwickelte Geschichte in Bild & Text spielte in der Römerzeit. Den Ausgangspunkt dafür gab die GL mit der Aussage „alea jacta est“. Die intensive Auseinandersetzung und Recherche zur Römerzeit ergab überraschende Parallelitäten zum Auftraggeber, wie z.B. die Eroberung neuer Gebiete und Märkte, die nur über gutes Zusammenwirken von Menschen aus teils unterschiedlichen Kulturen gelingen konnte, die jeweils das Beste aus Ihren Kulturen mit eingebracht hatten.

Der Auftakt

Erstellung des Storyboards und Abnahme durch die GL

  1. Auftaktbrief (mit Unterschrift der Geschäftsleitung an alle Mitarbeiter) mit Ankündigung zur Veröffentlichung an alle Mitarbeiter
  2. Kurz danach die Veröffentlichung des ersten Kapitels – hier als vertonte PREZI mit PDF im Anhang
  3. Verweis auf das nächste Kapitel mit der Aufforderung zu Feedback und reger Beteiligung

Reaktion

Die fiktive Geschichte mit authentischem Hintergrund war für jeden Mitarbeiter sofort dekodierbar, zum Beispiel aufgrund der Ähnlichkeiten der Figuren mit den tatsächlichen Akteuren, sowie des bewusst hergestellten Kontextes der Geschichte zu den Aufgaben der TÜV SÜD ET BW.

Nach der Veröffentlichung des ersten Kapitels wurde schnell deutlich, dass bei den Mitarbeiter Unsicherheit und Unverständnis herrschte. Sie erzählten sich in der Anfangsphase fast nur gegenseitig von aktuellen und vergangenen Erlebnissen und ihren Empfindungen, die aus den Geschichten resultierten, die sie wohl persönlich er- und durchlebt hatten.

Titelseiten der vier Kapitel

Sowohl in der vertikalen- als auch der horizontalen Kommunikation verstärkten teils unkoordinierte Informationen über verschiedene Kanäle die Bedenken und Ängste der Mitarbeiter. Ganz nach dem „Stille Post Prinzip“ wurde dadurch die übergeordnete Botschaft und der größere Zusammenhang der Change Story verschüttet. Die fast schon paradoxe Situation war zu beobachten, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter tatsächlich gleichzeitig unter Informationsmangel und Informationsüberflutung litten.

Das kritische und offene Auseinandersetzen mit und um die Change Story öffnete in der Folge eine Tür bei den Mitarbeitern, und damit die Bereitschaft durch einen glaubwürdigen Veränderungswillen des Managements und entsprechende Aktivitäten den neuen Weg mitzugehen und mitzugestalten.

Die häufigsten Aussagen im Projektverlauf waren:
„Wir wollen Klarheit und Transparenz.“
„Wir wollen Taten statt Worte.“

Von einem Veränderungsprojekt dieser Größenordnung sind alle Mitarbeiter betroffen. Man muss nur genau hinschauen und in den Dialog kommen, um die interessanten Geschichten bei den Mitarbeitern, in den Büros, Kantinen und Unternehmensfluren zu finden. Dort erfährt man auch als Berater, wo der Schuh drückt und wo Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihnen Informationen fehlen oder gefühlt vorenthalten werden.

Dabei liegt es in der Verantwortung von Führungskräften und Mitarbeitern, eine offene Kommunikationskultur zu schaffen. Die Führungsebene muss offene Türen und Ohren haben für Ideen, Vorschläge aber auch für Kritik der Mitarbeiter. Diese wiederum sind aufgefordert, auch Kritik zu artikulieren und eigenverantwortlich zu handeln.

Fazit zum Change Management

Den Erfahrungen und Geschichten der Mitarbeiter war bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Auswertung der Interviews zeigte, dass die offenen und verdeckten Reaktionen (Verhalten und Stimmung) die „unbekannte Seite des Unternehmens im Kopf der Mitarbeiter“ auf eine sehr prägnante Weise abbildete. Denn hier bilden sich die Annahmen der Mitarbeiter, was im Unternehmen möglich oder nicht möglich ist, die verborgenen Regeln, nach denen sich alle verhalten, ohne es zu wissen, und die impliziten Werte und Normen besonders deutlich ab.

Dabei zeigte sich auch, dass eine konsequente systemische Sicht unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg ist, denn unbearbeitete Konflikte auf den Führungsebenen setzen sich immer nach unten fort. Zudem sammeln sich negative Erfahrungen in den Mitarbeitern an und warten auf ihren Ausbruch. Der Perspektivwechsel, die systemische Sicht, sowie die Reaktionen auf die „Historica heroica“ haben uns gerade in diesem Teilprojekt Einblicke verschafft, die wir über Gespräche und Interviews allein nie erhalten hätten – und die zu Anpassungen des Projektauftrages führten.

Der Abschluss des Change Managements beinhaltete für die GL ein Konzept mit Handlungsempfehlungen zur Fortsetzung der Veränderungskommunikation, sowie Anregungen für die Umgestaltung der internen Kommunikation. Die bereits etablierte Rollenorganisation sollte um ein Kommunikationsteam erweitert werden, dessen Auftrag es wäre, die künftigen Kommunikationskanäle und -bedarfe aller Ebenen im Unternehmen zu erheben und auszuwerten. Entsprechende Mitarbeiter hatten dafür sogar bereits ihr Interesse bekundet. Daraus könnten dann neue Formate und Kanäle entstehen, die die Kommunikation im Allgemeinen und die Besprechungsformate im Besonderen effizienter und wirksamer werden lassen.

8. Erreichte Ziele zum Projektabschluss

Insgesamt wurde der internationale Vertrieb über 20 Monate hinweg aufgebaut. Drei externe Berater und drei interne Projektmitarbeiter waren daran beteiligt.

  • Innerhalb der TÜV SÜD ET BW wurde eine Vertriebsorganisation aufgebaut und die erforderlichen Vertriebsprozesse beschrieben. Strukturen und Prozesse sind mit den angrenzenden Abteilungen abgestimmt und synchronisiert.
  • Die Vertriebsorganisation ist in Bezug auf künftige Anforderungen skalierbar und modular in eine internationale Vertriebsstruktur integrierbar. Damit kann das Wachstum des Unternehmens optimal zu unterstützt und vorangetrieben werden.
  • Eine gemeinsame Vision fungiert als Fixstern für alle Mitarbeiter
  • Definition, Einführung und Umsetzung des Vertriebsprozesses und dessen Integration in die bestehenden Abteilungsprozesse und das Ressourcenmanagement.
  • Umsetzung des Vertriebslebenszyklus (entlang der Phasen im Vertriebsprozess) und Integration mit dem bestehenden SAP-CRM System.
  • Aufbau des Bereichs Marketing und Research als Ideengeber für neue Marktsegmente
  • Entwicklung eines Kommunikationskonzeptes und einer Change Story
  • Entwicklung eines spezifischen Organisationsdesigns auf Grundlage des VSM

Weitere Ergebnisse

  • Es wurde die Basis zur Transformation in eine globale Vertriebsorganisation geschaffen und unterschiedliche Unternehmensbereiche dafür harmonisiert
  • Neu entwickelte Produkt-Bundles führen zu ersten Vertriebserfolgen bei bestehenden Kunden.
  • Nicht nur die reibungslose Transformation der Vertriebsbereiche, sondern auch das Vertrauen der Mitarbeiter in die neue Struktur wächst zunehmend; Verbesserungen in Kommunikation und Verhalten sind objektiv feststellbar.
  • Die Planungssicherheit von Kapazitäten, Ressourcen und Kompetenzen wurde erhöht (Differenzieren von Auftragseingang und Umsatz; Einführung einer Ressourcenplanung auf der Basis des Signing-Backlogs; Ressourcenplanung auf der Basis von Kompetenzprofilen; etc.)
  • Das Geschäftsmodell wird laufend präzisiert und konstant weiterentwickelt.

Kommentar einer langjährigen externen Beraterin, ein Jahr nach Abschluss des Projektes:

„Die TÜV SÜD ET hat sich nach Umsetzung des Projektes spürbar positiv verändert”