Im Zuge einer Ausschreibung haben wir uns kürzlich wieder einmal mit dem Thema Talentmanagement beschäftigen dürfen. Es ging darum, mit welchem Konzept ausgewählte Talente in einem Unternehmen am besten gefördert werden können. Was bei der Entwicklung eines Talentmanagementprogramms zu Beginn jedoch meist auffällt, ist das Fehlen eines einheitlichen Talentverständnisses. In einem Unternehmen herrscht ein hierarchisches Talentverständnis vor, das insbesondere auf die Entwicklung zukünftiger Führungskräfte abzielt. In anderen ist das Verständnis entweder potenzial- oder qualifikationsorientiert, während wieder andere Unternehmen ein egalitäres Talentverständnis praktizieren, das in allen Mitarbeitern förderungsfähige Talente sieht.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich der Begriff Talent entweder auf bestimmte Anlagen bei Menschen bezieht, oder aber den ganzen Menschen als Talent betrachtet. In letzterem Fall wird der klassische Talentbegriff verwässert, da er für jeden Mitarbeiter verwendet wird, von dem sich das Unternehmen große Vorteile verspricht. Das schließt auch eine hohe Leistungsfähigkeit und -bereitschaft ein, die nun eben von Grund auf nichts mit Talent zu tun hat. Wir verwenden hier den Talentbegriff im Sinn bestimmter entwickelter Anlagen einzelner Menschen.

Allen Ansätzen ist jedoch eines gemein: die kontinuierliche Entwicklung von Talenten und die Hoffnung auf deren Entfaltung zum Nutzen des Unternehmens. Diese Hoffnung macht Talente für die Unternehmen so wertvoll und lässt die Investitionen für das Talentmanagement in den letzten Jahren in die Höhe schnellen.

Talent ist nicht gleich Leistung

Begabungen oder Talente stellen zunächst Dispositionen dar, die sich als Leistungen entfalten (oder auch nicht). Edisons berühmtes Zitat: „Genie besteht aus 1 % Inspiration und 99% Transpiration“ kann auch gut für das Thema Talentmanagement herangezogen werden. Lewis Terman1 stellte bei einem Vortrag an der Universität Berkley in diesem Zusammenhang fest, dass Begabung alleine nicht ausreiche, um überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen, ebenso wichtig sind dafür Selbstvertrauen und ein förderliches Umfeld. Auch die Neurowissenschaft kann längst belegen, dass jeder Mensch von Kind an hoch begabt ist. 2 Doch ob diese Talente gefördert werden entscheidet darüber, ob ihm daraus auch außerordentliche Leistungen erwachsen.

Business Development als Talentförderung

Eine Violinvirtuosin im Unternehmen zu haben, mag für Veranstaltungen höchst beeindruckend sein, in Bezug auf die Talentförderung ist dies jedoch nicht relevant. Förderungswürdig können für Unternehmen nur Begabungen sein, die mit den Zielen und der Strategie des Unternehmens korrelieren. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Talent und Leistung, da nicht jedes Talent automatisch zu einer außerordentlichen Leistung für das Unternehmen führt, und umgekehrt nicht jede besondere Leistung Talent voraussetzt. Förderungswürdig sind Talente, die sich auf strategischen, konzeptionellen, fachlichen oder sozialen Kompetenzen auswirken. Hier kommt der erweiterte Business Development-Ansatz mit seinen drei Handlungsfeldern ins Spiel. Lediglich die rein fachlichen Kompetenzen (wie mathematische, handwerkliche u.a.) können mit diesem Ansatz konzeptbedingt nicht abgebildet werden. Wir wollen Ihnen nachfolgend die im Rahmen des Talentmanagements zu entwickelnden Kompetenzen innerhalb der drei Handlungsfelder aufzeigen:

Handlungsfeld Geschäftsmodellmanagement
Entwicklung und Stärkung von Fähigkeiten in Bezug auf

  • Verständnis für Kundenbedarfe und -anforderungen
  • Entwicklung neuer Geschäftsideen und -modelle
  • Kenntnisse über Markt und Wettbewerb
  • Vision, Ziele und Strategie

Geförderte Talente: Analytische Fähigkeiten, Visionsfähigkeit, Kreativität, analytische Fähigkeit, strukturiertes Planen und Handeln

Handlungsfeld Organisationsdesign
Entwicklung und Stärkung von Fähigkeiten in Bezug auf

  • Optimierung und Entwicklung neuer Strukturen und Prozesse
  • Verständnis lebensfähiger Organisationssysteme
  • Konzepte zukunftsfähiger Zusammenarbeit

Geförderte Talente: räumliches Vorstellungsvermögen, Systemische Fähigkeiten, Erkennen komplexer Zusammenhänge, Logik

Handlungsfeld Kulturentwicklung
Entwicklung und Stärkung von Fähigkeiten in Bezug auf

  • Gestaltung funktionaler Rahmenbedingungen
  • Kooperation, Kollaboration und Kommunikation
  • Systemisches Organisationsverständnis

Geförderte Talente: Emotionale Intelligenz, Intuition, Wahrnehmungsfähigkeiten, Systemische Fähigkeiten

Lernen und Umsetzen

Die Handlungsfelder des Business Developments bilden die Themen ab, mit denen sich Unternehmen in den nächsten Jahren beschäftigen müssen, wenn sie im internationalen Wettbewerb, mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit und wachsender Komplexität überleben wollen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Talententwicklung ist die „Erprobung“ der als Talente identifizierten Mitarbeiter. So wie sich der wahre Charakter eines Menschen meist erst in Extremsituationen zeigt, so zeigt sich die Fähigkeit, persönliche Talente nutzbringend umzusetzen erst unter realen Bedingungen. Deshalb bearbeiten alle Teilnehmer des Entwicklungsprogramms konkrete Projekte mit Aufgabenstellungen aus den Business Development-Handlungsfelder:

  • Im Geschäftsmodellmanagement kann dies der Aufbau einer neuen Unit, eines Marktes oder eines neuen Produktes sein.
  • Im Organisationsdesign ist dies häufig die Bearbeitung/Leitung eines Restrukturierungs- oder Optimierungsprojektes.
  • Die Erkennung und Entwicklung von Talenten in Bezug auf die Unternehmenskultur erfolgt hingegen meist durch temporäre Führungsaufgaben oder Change-Management-Projekte.

Die praktische Bearbeitung dieser Themen in Begleitung eines Mentors, ermöglicht eine intensive Evaluation vorhandener Talente oder Schwächen. Diese werden dann durch flankierende Maßnahmen wie Coaching, Kollegiale Beratung oder andere Konzepte individuell bearbeitet.

Fazit

Der Fokus klassischer Talentmanagement-Programme richtet sich häufig auf die Entwicklung basaler persönlicher Kompetenzen, die durch Kommunikations-, Präsentations-, Projektmanagement- oder andere Trainings entwickelt werden sollen. Die Wichtigkeit dieser Kompetenzen ist unbestritten, doch sollten sie nicht nur exklusiv bei ausgewählten Mitarbeitern entwickelt werden – sie sollten von allen Mitarbeitern des Unternehmens beherrscht werden, und viele Personalentwicklungsprogramme haben ja gerade dies zum Ziel. Wenn wir dazu in der Lage sind, diese grundlegenden Kompetenzen im Sinne eines egalitären Talentverständnisses bei allen Mitarbeitern sicherzustellen und durch eine Anpassung der Unternehmenskultur ihren Einsatz im Alltag ermöglichen, werden sich an den verschiedensten Stellen in der Organisation Talente entwickeln, die kein noch so gutes Talentmanagement hätte erkennen können.

Doch solange Unternehmen ein exklusives Talentmanagement betreiben, muss der Anspruch an dessen Inhalte ein anderer sein. Das Business Development bietet dafür das theoretische Gerüst und den praktischen Rahmen.

1 Lewis Terman, Genetic Studies of Genius
Gerald Hüther & Uli Hauser, Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unsere Kinde und was wir daraus machen, Albrecht Knaus Verlag, 2012